Bist du Teamleiter, Mutter, Vater, Lehrer, Dozent oder Manager? Wenn ja, dann könnte sich das Weiterlesen für dich lohnen.
"Warum schauen die Lehrer zu, wenn die Teilnehmer sich streiten?", fragte mich einst eine Teilnehmerin in der Erwachsenenbildung. Als ich daraufhin versuchte, die Lehrer dahingehend zu sensibilisieren, dass sie den Teilnehmern Sicherheit geben, fragte mich eine Lehrerin, was ich damit meinte.
Sicherheit - ein Grundbedürfnis des Menschen (und der Pferde)
In der Bedürfnispyramide nach Maslow bildet Sicherheit die zweite Ebene. Nach Maslow sind damit primär der Schutz vor Klimaeinflüssen, vor Krankheit oder Gewalt gemeint, was in unserer Gesellschaft grundsätzlich gegeben ist. Allerdings habe ich auch Prügeleien sowohl in Unternehmen als auch in der Bildung erlebt. Eine Dozentin sagte mir damals, sie wäre immer davon ausgegangen, dass sie es mit erwachsenen Menschen zu tun hätte, aber nun wäre ihr klargeworden, dass sie früher eingreifen müsste. Mit dieser Einstellung förderte sie dann auch die psychologische Sicherheit.
Was ist psychologische Sicherheit?
Die Harvard Business Review definiert es als ein Phänomen, das interpersonelles Risiko zwischen Teammitgliedern erlaubt und fördert. Es ermutigt Gruppenmitglieder ihre Meinung zu sagen, Vorschläge zu machen, Fragen zu stellen, Befürchtungen auszusprechen und Fehler zuzugeben ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die Unternehmensberatung McKinsey beschreibt die wichtigsten Faktoren für die psychologische Sicherheit eines Teams mit einem positiven Teamklima, in dem Teammitglieder die Beiträge der anderen wertschätzen, sich für das Wohlbefinden der anderen interessieren und Input zu der Arbeitsweise des Teams geben dürfen. Teamleiter haben den größten Einfluss auf die psychologische Sicherheit ihres Teams, weil sie mit ihren eigenen Handlungen für das Teamklima tonangebend sind.
Sicherheit und die Polyvagal Theorie
Die Polyvagal Theorie, die von Dr. Stephen Porgess entwickelt wurde beschreibt, wie das autonome Nervensystem (ANS) auf Stress reagiert und wie es unsere sozialen Interaktionen und unser Verhalten beeinflusst. Die Theorie legt besonderen Wert auf die Rolle des Vagusnervs (Nervus vagus), der der zehntgrößte Hirnnerv ist und eine wichtige Rolle bei der Regulation von Herz, Lunge und Verdauungstrakt spielt. Sicherheit ist viel mehr als nur das Fehlen einer Bedrohung, sagt Dr. Porgess.
Hier sind die Hauptpunkte der Polyvagal-Theorie:
1. Drei Zweige des Vagusnervs
Dr. Porges identifiziert drei Hauptzweige des ANS, die jeweils unterschiedliche Reaktionen auf Stress und Sicherheit ermöglichen:
Ventraler Vagus
• Funktion: Unterstützt soziale Bindung, Entspannung und kooperatives Verhalten.
• Aktivierung: Führt zu einem Zustand der Sicherheit und sozialen Verbundenheit, fördert Ruhe, Verdauung und
Regeneration.
Sympathisches Nervensystem
• Funktion: Bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor (Fight-or-Flight-Reaktion).
• Aktivierung: Führt zu erhöhter Herzfrequenz, erhöhter Durchblutung der Muskeln und Freisetzung von Adrenalin.
Dorsaler Vagus
• Funktion: Unterstützt bei extremem Stress oder Gefahr den „Freeze“-Zustand, eine Art Schutzmechanismus.
• Aktivierung: Führt zu einem Zustand der Immobilität oder Erstarrung, kann auch Verdauungsfunktionen
herunterfahren und das Energieniveau senken.
2. Hierarchie der Reaktionen
Die Theorie schlägt vor, dass diese drei Systeme hierarchisch organisiert sind und in einer bestimmten
Reihenfolge aktiviert werden, je nach dem Grad der Bedrohung:
- Ventraler Vagus (Soziale Interaktion): Bei Sicherheit wird dieses System aktiviert, was soziale Interaktion und Entspannung ermöglicht.
- Sympathisches Nervensystem (Fight-or-Flight): Bei einer wahrgenommenen Bedrohung wird dieses System aktiviert, um den Körper auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.
- Dorsaler Vagus (Freeze): Bei extremer Gefahr oder überwältigender Bedrohung wird dieses System aktiviert, was zu Erstarrung oder Dissoziation führen kann.
3. Bedeutung der Polyvagal Theorie und psychologischer Sicherheit im Umgang mit Menschen
Die Polyvagal-Theorie bietet ein tiefes Verständnis dafür, wie unser autonomes Nervensystem auf Stress reagiert und wie wir durch gezielte Maßnahmen und Therapien wieder in einen Zustand der Sicherheit und sozialen Verbundenheit gelangen können. Sie hat weitreichende Implikationen nicht nur für die Behandlung von Traumata und die Förderung psychischer Gesundheit sondern auch für die Schaffung von psychologischer Sicherheit am Arbeitsplatz, in der Schule und zu Hause. In einer Führungsposition musst du in der Lage sein, sogenannte Sicherheitssignale auszusenden, dass du die Nervensysteme deiner Kinder/Mitarbeiter oder Schüler beruhigen kannst. Das wird dir jedoch nur gelingen, wenn du selbstbewusst und achtsam (bitte lies hierzu gerne meinen Blog zum Achtsamkeitstraining) genug bist, um dich jederzeit wieder psychisch und physisch ausbalancieren zu können. Wenn du einen Schritt weitergehen möchtest, lernst du die bewusste Koregulation, die ich auch in meinem Coaching mit den Pferden vermittle.
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